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Ob Budgetausgaben, die Gestaltung von Wohnquartieren oder die Förderung von Co-Working-Spaces: eParticipation-Plattformen werden bei Gemeinden immer populÀrer. Das belgische Unternehmen Citizen Lab gehört zu den erfolgreichsten Anbietern und ist auf Wachstumskurs.

BĂŒrgerkonsultationen boomen. Immer mehr suchen lokale Regierungen bei politischen Fragen die NĂ€he zu ihren Einwohnern. Einerseits um den Puls der Bevölkerung zu spĂŒren, aber auch um vom Wissen ihrer BĂŒrger zu profitieren. So lassen StadtrĂ€te und BĂŒrgermeisterinnen in Reykjavik, Paris oder Barcelona öffentliche PlĂ€tze und Wohnquartiere mittels digitaler Plattformen neu gestalten. Die Nachfrage nach entsprechender Software wĂ€chst.

Die belgische Agentur Citizen Lab ist einer der aktuell spannendsten Anbieter solcher Software. Eines ihrer Projekte ist die Ende Juni abgeschlossene Konsultation von LiĂšge ( #RéinventonsLiège), bei der 983 Projekte eingereicht und ĂŒber 90'000 Stimmen abgegeben worden sind. Liip wollte von Wietse van Ransbeeck, dem GrĂŒnder von Citizen Lab, wissen, wie dort lokale EntscheidungstrĂ€ger fĂŒr eParticipation-Projekte begeistert werden.

Liip: Was ist die Idee hinter Citizen Lab, und woher kommt sie?

Wietse van Ransbeeck: Wir haben Citizen Lab im Jahr 2015 gegrĂŒndet. Bis dahin gab es in Belgien nur limitierte Formen der BĂŒrgerbeteiligung, sogenannte “Townhall Meetings” in RathĂ€usern. Mit neuen eParticipation-Technologien hat sich das Spektrum erweitert: Man kann seine Idee “bottom up” einbringen, ohne an den aufwendigen institutionellen und zeitraubenden Prozeduren teilnehmen zu mĂŒssen. Genau das bieten wir an.

Die Software von Citizen Lab auf einem iPad

Liip: Habt ihr eine Standard-Software, die ihr allen StÀdten anbietet oder arbeitet ihr mit individuellen Lösungen?

Wietse: Über 40 StĂ€dte in Belgien und Niederlande arbeiten mit der Plattform von Citizen Lab, zum Beispiel auch BrĂŒssel, Hasselt und LiĂšge. Wir konfigurieren und passen diese an die BedĂŒrfnisse an. Wichtig ist uns eine gute User Experience zu schaffen, deswegen ist eine “customized” Variante wichtig.

Liip: Was sind die Themen, die Stadtverwaltungen und lokale Regierungen beschÀftigen?

Wietse: Bei den lokalen Regierungen ist es klar die BewĂ€ltigung von MobilitĂ€tsproblemen und die Frage, wie man die StĂ€dte attraktiv fĂŒr jĂŒngere BĂŒrger gestalten kann. Auch Nachhaltigkeit beim Wohnungsbau ist ein grosses Thema fĂŒr uns.

Liip: Und bei den BĂŒrgern?

Wietse: Das hĂ€ngt stark von der individuellen Lebenswelt ab, die WĂŒnsche sind eher kontextualisiert und sehr gemischt. Viele BĂŒrger machen auf unserer Plattform darauf aufmerksam, was in ihren Umgebungen fehlt: Gastronomie, CafĂ©s, öffentliche PlĂ€tze, Co-Working-Spaces und so weiter.

Liip: Ihr seid schnell nach Holland expandiert. Liegt das an der kulturellen Verbundenheit der LĂ€nder?

Wietse: Einerseits natĂŒrlich an der gemeinsam Sprache, aber auch weil Holland sehr progressiv ist in Sachen digitaler BĂŒrgerbeteiligung. Diese Form ist viel institutionalisierter als bei uns in Belgien. BĂŒrgerinnen und BĂŒrger sind in Entscheidungsprozesse regelmĂ€ssig eingebunden. Initiativen fĂŒr mehr Transparenz werden unterstĂŒtzt, auch wenn sie von der Zivilgesellschaft kommen. Umgekehrt haben sich Gov-Tech-Initiativen etabliert: Das heisst Regierungen möchten regelmĂ€ssig die Meinungen ihrer Einwohner kennen. Das ist in Frankreich zum Beispiel noch schwieriger, auch wenn sich da einiges tut.

Liip: Wie nehmt ihr diesbezĂŒglich denn die deutschsprachigen LĂ€ndern wahr?

Wietse: Die bisherigen Signale aus Deutschland sind positiv. NatĂŒrlich nicht wie in Holland oder Skandinavien, wo die digitale Transformation fortgeschrittener ist und man viel empfĂ€nglicher ist fĂŒr neue demokratische Impulse.

Liip: Citizen Lab gibt es auch als Mobile App. Wie sind eure Erfahrungen damit? Reichen BĂŒrger andere Themen ein via App als auf dem Desktop?

Wietse: Unsere Dienstleistung gibt es sowohl als Mobile App, wie auch als Web-Plattform. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass elaborierte VorschlĂ€ge via Desktop-Plattform eingereicht werden. Man nimmt sich mehr Zeit dafĂŒr. Die App wird hingegen bei der Stadterkundung genutzt, zum Beispiel spontan bei einem Spaziergang. Dabei fallen einem meistens Dinge auf und man hat neue Ideen, die man sich auf der App abspeichert. Danach werden sie ausgearbeitet. Diese Nutzungsform ist sehr niederschwellig und daher sehr wichtig fĂŒr uns.

Liip: Jetzt ist aber mit einem StĂŒck Software ja vermutlich noch keine Partizipation, kein Inklusion geschaffen?

Wietse: Unser Angebot umfasst drei SĂ€ulen. Wir von Citizen Lab kĂŒmmern uns mit einem professionellen Community Management um die BĂŒrgeranliegen. Aber wir betreuen auch die öffentlichen Verwaltungen, die die Themen und Ideen bearbeiten. Wir achten darauf, dass die BĂŒrgeranliegen zu den richtigen Stellen weitergeleitet werden. Als Drittes versuchen wir einen transparenten Feedback-Prozess zu etablieren. Denn fĂŒr die BĂŒrger ist es wichtig zu wissen, was mit ihren Ideen passiert und welche Wirkung diese Plattformen effektiv haben. Diese Entwicklung muss nachvollziehbar werden, ansonsten enttĂ€uscht man die Teilnehmer.

Liip: Wie kann man die öffentliche Hand, die aufgrund vieler Restriktionen ja oft als nicht besonders digital-affin gilt, fĂŒr BĂŒrgerbeteiligung im Netz gewinnen?

Wietse: Indem man die Wirkung aufzeigt und auch die höhere Akzeptanz durch die BĂŒrger. Sowohl BĂŒrger als auch Verwaltung gewinnen ein besseres VerstĂ€ndnis fĂŒr digitale AblĂ€ufe. Wichtig ist es fĂŒr den Wissenstransfer zu sorgen und “zu ĂŒbersetzen”. Es braucht ein umfassendes Paket von Online-AblĂ€ufen und Offline-Begleitung. Die Kommunen haben die Chance als digitale Pioniere im öffentlichen Sektor wahrgenommen zu werden. Mittels kĂŒnstlicher Intelligenz lĂ€sst sich innerhalb von Verwaltungen viel Zeit einsparen und Prozesse demokratischer gestalten. Wenn die StĂ€dte dies als Chance betrachten, wird die Digitalisierung auch als Vorteil wahrgenommen. Der Markt fĂŒr “Government-Technologien” wĂ€chst derzeit, die Regierungen geben viel Geld fĂŒr IT-Infrastruktur und neue Cloud-Architekturen aus. Die Dienstleistungen werden somit immer mehr digitalisiert. Damit einher geht zum GlĂŒck auch ein wachsendes Bewusstsein fĂŒr digitale Demokratiefragen.

Liip: Sehen die Mitarbeitenden der öffentlichen Verwaltung eure Arbeit manchmal auch als als Bedrohung? Haben sie nicht Angst, bald â€œĂŒberflĂŒssig” zu werden?

Wietse: Diese Prozesse können und sollen nie vollautomatisiert geschehen. Wir stellen sicher, dass die Anliegen an die richtigen Stellen gelangen. Diese Zuteilung muss immer noch manuell und vom “menschlichen Verstand” beurteilt werden, die Staatsstruktur ist noch zu komplex. Wir möchten allerdings den Staat nicht mit Technologien ersetzen. Sondern ihm die richtigen Werkzeuge und Informationen in die Hand geben, um ihn effizienter und demokratischer zu gestalten. Wenn Mitarbeitende von Prozessen entlastet werden, die sich automatisieren lassen, haben sie KapazitĂ€ten und Ressourcen fĂŒr andere wichtige und aufwendigere Aufgaben.

Liip: Was sind Deiner Meinung nach die aktuell wichtigsten Trends im Bereich CivicTech und GovTech?

Wietse: Die Entscheidungsfindung muss geöffnet werden im 21. Jahrhundert. BĂŒrger sollten mitbestimmen können, auch in reprĂ€sentativen Demokratien. Der StaatsbĂŒrger, der Citoyen, ist zentral bei diesen Prozessen. Zudem braucht es mehr Transparenz ĂŒber öffentliche Daten, die in den einzelnen Institutionen „schlummern“. Auch die Blockchain wird relevant werden, da sie einen sicheren Standard fĂŒr Abstimmungsprozesse erlaubt. Was in Zukunft sicher auch vermehrt gefragt sein wird, ist die datengetriebene Entscheidungsfindung. Also dass politische Entscheidungen vermehrt evidenz- und empiriebasiert erfolgen. Nur mit „data-driven government“ werden wir die komplexen Probleme von Metropolen und StĂ€dten in den Griff kriegen.

Liip: Herzlichen Dank!