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Weitere Beiträge des Neuland Newsletters #1: CivicTech-Szene in Frankreich: “Der Wahlkampf interessiert uns nicht” / Bundespolitik machen, digital und parteilos / Wann kommt die eVernehmlassung?

“19. Juni 2013: Angela Merkel entdeckt das Internet.” Die Bundeskanzlerin musste sich viel Spott der Twitter-Szene anhören, als sie bei ihrer Begegnung mit Barack Obama die Aussage machte: “Das Internet ist für uns alle Neuland.” Seither gab es zwischen der Politik und der digitalen Zivilgesellschaft immer wieder zögerliche Annäherungsversuche. Doch die Beziehung ist bis heute von Missverständnissen und Schuldzuweisungen begleitet – wie etwa das geplante “ Hate Speech”-Gesetz des bundesdeutschen  Justizministers Heiko Maas beweist, doch das ist eine andere Geschichte.

Nach Angela Merkels Aussage bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Barack Obama hatten #Neuland-MemesHochkonjunktur.

Das Spannungsverhältnis hat aber nicht nur mit angeblichem Unwissen auf Seiten der Regierung, sondern auch mit dem Desinteresse der Digitalwirtschaft gegenüber der Politik zu tun. Denn das Silicon Valley hat in den letzten Jahren Milliarden von Dollar in Technologien investiert, die unseren Alltag erleichtern. Doch weniger als 0.01 Prozent davon wurde für die Verbesserung unserer Demokratie eingesetzt. Der Grossteil dieser Ausgaben wiederum floss in Wahlkampfwerbung. Zwar hat man sich intensiv mit der Frage beschäftigt, wie sich Unternehmen demokratisieren und öffnen lassen. Stichwort neue Arbeitsmodelle. Für sämtliche Grundbedürfnisse – zumindest in der ersten Welt – existiert Software, die algorithmisch Anbieter und Nachfrage vermittelt. Von Taxis bis zu Essensauslieferung und Wohnungsvermittlung, alles wurde sozusagen “uberisiert”. Doch keiner der grossen Vordenker oder Meinungsführer aus dem Technologie-Mekka wie Elon Musk, Marc Zuckerberg oder Tim Cook haben sich je zur Frage geäussert, wie sich Demokratien mittels Technologien verbessern lassen. Wie die Interaktion zwischen Bürger und Staat neu gestaltet werden kann.

Der Wunsch nach direkter (digitaler) Demokratie wächst

Davon profitieren nun Macher einer neuen Generation von “Demokratie-Technologien”.  Diese Akteure  bilden eine neue Branche, die sich CivicTech und GovTech nennt. Die Begriffe umfassen eine wachsende Zahl von Startups und Initiativen, die neue Instrumente des digitalen politischen Entscheidungs- und Beteiligungsprozesses entwickeln und erproben. Sie setzen sich zum Ziel, den Staat digitaler, transparenter, responsiver und effizienter zu gestalten. Mittels Einsatz von Künstlicher Intelligenz, Open-Source-Software oder Datenvisualisierungen möchten CivicTech-Initiativen beispielsweise Bürgerhaushalte aufstellen, Verfassungen kollaborativ neu schreiben oder Mängel in kommunalen Wohnquartieren effizienter beheben können.

Eine klärende Übersicht über die Tätigkeitsfelder der CivicTech-Branche bietet die Knight Foundation.

Eine klärende Übersicht über die Tätigkeitsfelder der CivicTech-Branche bietet die Knight Foundation.

Die Zeichen der Zeit sprechen für diese “Demokratie-Hacker”. Weltweit sind die Ansprüche an staatliche digitale Dienstleistungen oder politische Mitbestimmung gestiegen. Umfragen renommierter Meinungsforschungsinstitute wie YouGov und Ipsos Mori zeigen, dass der Wunsch nach Direkter Demokratiewächst. 2016 führten so viele Länder Volksabstimmungen durch wie nie zuvor. Politik-Startups und CivicTech-Initiativen profitieren vom wachsenden Bedürfnis vieler Bürger nach mehr Mitbestimmung. In den USA hat sich in den letzten Jahren ein regelrechter CivicTech-Markt entwickelt. Die US-Regierung investierte im Jahr 2015 6.4 Milliarden Dollar in CivicTech-Innovationen , wie der Technologie-Blog TechCrunch berichtet. Auch in Europa blüht die Szene auf, wenn auch hierzulande genaue  Zahlen zur Branche fehlen. Es sind Software-Entwickler, Politikwissenschaftler, Web-Designer und Aktivisten, die sich im Zuge der Eurokrise in Ländern wie Spanien, Portugal und Frankreich zusammengeschlossen haben und an die Potenziale des Internets zur Verbesserung des Staats- und Verwaltungswesens glauben.

Diese neuartigen Modelle und Werkzeuge der digitalen Demokratie sind jung. Doch sie verdienen mehr Aufmerksamkeit. Zu lange standen sie im Schatten der negativen Schlagzeilen von Facebook, Twitter & Co. Sie bieten die Chance, negativen Auswüchsen von Social Media wie Fake News, politisch orchestrierten Troll-Armeen oder botgesteuerten Diskussionen etwas entgegenzusetzen. Darum möchten wir über diese Initiativen, Projekte und Startups weltweit wie in der Schweiz reden. Wir, das sind Hannes Gassert, Andreas Amsler und Joscha Jenni von der Internet-Agentur Liip und Adrienne Fichter, freie Netzjournalistin und Dozentin. Wir wollen Vorzeigebeispiele vorstellen, Fragen aufwerfen, Trends analysieren und Sie damit inspirieren. Damit wieder mehr über die positiven Potenziale des Internets geredet wird. Und damit das Internet für hochrangige Politikerinnen und Politiker nicht weiter #Neuland bleibt.