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Dank der Vernehmlassung können Vorlagen „referendumssicher“ ausgearbeitet werden. Mit neuen digitalen Tools liesse sich der Anhörungsprozess beschleunigen. Die Bundeskanzlei sieht vorerst keinen Handlungsbedarf.
Denkt man an typische Merkmale Schweizer Politik, so fallen einem als erstes unsere Volksabstimmungen oder die Landsgemeinden ein. Gefolgt von der Konkordanz und dem Umstand, dass die gesetzlichen Mühlen hierzulande sehr langsam mahlen.
Selten fällt hingegen das Wort “Vernehmlassung”. Worum geht es? Bei der Vernehmlassung handelt es sich um eine typische Phase im schweizerischen Gesetzgebungsverfahren. Bei Gesetzesvorhaben von grösserer Tragweite lädt der Bundesrat Kantone und Interessenorganisationen zu Stellungnahmen ein. Ihr Feedback fliesst in die Auswertung ein, bevor die überarbeitete Vorlage vom Parlament beraten wird. Ziel dieser Übung ist es, die Projekte “referendumssicher” zu machen, auf dass sie auf wenig Widerstand in der Zivilgesellschaft stossen. Es entsteht ein gut schweizerisch ausgewogener, gesetzlicher Kompromiss. Wer begreifen will, wie die politische Schweiz funktioniert, der muss das Vernehmlassungswesen verstehen.
Prozess 1.0
Der “Sammelprozess” von Stellungnahmen geschieht in der Regel ziemlich aufwendig. Entsprechende Dokumente im Netz können heruntergeladen werden. Verbände machen Anmerkungen zum Gesetzesvorhaben und senden diese via Email zurück an die Bundeskanzlei. Diese sammelt die Dokumente manuell ein, scannt sie und führt alle Anmerkungen in einer Excel-Datei zusammen. Bei jeder neuen Eingabe eines Verbandes muss die Datei aktualisiert und alle relevanten Mitarbeiter der involvierten Ämter über die Änderungen informiert werden. Ein mühsames Prozedere.
Dass es auch anders gehen könnte, zeigt die Software Screendoor des US-amerikanischen GovTech-Unternehmens Department of Better Technology ( DOBT) . Formulare werden nicht erst heruntergeladen. Sondern direkt im Netz in einer Maske ausgefüllt. Mitarbeiter der Verwaltung können die so digital eingereichten Stellungnahmen sichten, kommentieren und bewerten. Der Vorteil der Zeitersparnis liegt auf der Hand. Screendoor, eine “Software as a Service”, wird bisher vor allem in zwei Bereichen angewendet: Bei der Rekrutierung von Personal im öffentlichen Sektor und beim öffentlichen Beschaffungswesen. Die U.S. Agency for International Development (USAID) hat die Ausschreibung für innovative Lösungen zum Wassermanagement mittels Screendoor durchgeführt. Der Einsatz dieses Tools habe den Evaluationsprozess massiv vereinfacht, zitiert DOBT den Leiter des USAID's Center for Development Innovation Ku McMahan. Während der Evaluation und Auswahl sandten die USAID-Mitarbeiter einander über 2'700 Nachrichten. Man stelle sich diesen internen Kommunikationsfluss mittels Email vor. Ein digitaler Albtraum.

Verzicht auf e-Vernehmlassungssystem wegen Wirtschaftlichkeit
Obwohl Screendoor für die Bedürfnisse von US-amerikanischen Administrationen konzipiert worden ist, lässt sie sich mit Anpassungen auch in anderen Ländern einsetzen. Für die Schweizer Internet-Agentur Liip sind bei uns die Vernehmlassung und das öffentliche Beschaffungswesen prädestiniert für den Einsatz von Screendoor. Liip ist Franchise-Nehmer im deutschsprachigen Raum. “ Der Vorteil liegt in der Skalierbarkeit. Bei einer grossen Zahl von Eingaben, die man verwalten und bearbeiten muss”, sagt Giorgio Nadig, Product Owner bei Liip.
Generell könnte eine e-Vernehmlassung könnte den Gesetzgebungsprozess effizienter, schneller und auch kollaborativer abgewickeln. Die vielen Vorteile – und möglicherweise auch disruptiven Folgen – wecken aber auch Ängste und Unsicherheiten. Die Bundesverwaltung hat in der Tat bereits einen ersten Test mit Screendoor durchgeführt, in welchem methodische und organisatorische Aspekte der digitalen Vernehmlassung überprüft wurden. Das postulierte Fazit: Derzeit bestehe kein Bedarf an den gegebenen Abläufen etwas zu ändern: “ Die Vernehmlassung funktioniert heute sehr gut. Ein grosser Druck, etwas zu verbessern, ist bei den Pilotpartnern nicht spürbar”, gibt René Lenzin von der Medienstelle der Bundeskanzlei zur Auskunft. Die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt legten nahe, dass die Bundesverwaltung mangels Wirtschaftlichkeit und wegen der hohen Kosten auf die Realisierung eines eigenen e-Vernehmlassungs-Systems verzichten sollte. “ Insbesondere bezüglich des Informationswertes von strukturierten Umfrage- und Antwortbögen bestehen offene Fragen”, lautet die Antwort des Bundesrates auf die Frage im Postulat von SVP-Nationalrat Markus Hausammann, wie Vernehmlassungsverfahren optimiert werden könnten.
Verbesserungspotenziale beim zeitlichen und organisatorischen Aufwand von Vernehmlassungen scheinen also zurzeit kein Thema zu sein. Schon weiter ist man beim Beschaffungswesen, wo ab 2019 eine Standardsoftware eines Anbieters aus Luxemburg im Einsatz sein wird. Aufträge und Ausschreibungen lassen sich online ausschreiben und einreichen. Das Verfahren soll damit transparenter, nachvollziehbarer und fairer ausgestaltet werden.
Ist das Thema eVernehmlassung endgültig vom Tisch? Nein, es obliege den einzelnen Bundesstellen, zu entscheiden, ob sie eine Vernehmlassung mit Hilfe eines digitalen Werkzeuges durchführen wollten und falls ja, mit welchem, sagt Mediensprecher Lenzin. “Daneben zeichnet sich auch ab, dass private Anbieter Dienstleistungen entwickeln, welche die Teilnahme am Vernehmlassungsverfahren für die interessierten Kreise vereinfachen können”, schreibt der Bundesrat. Die Schweizer Adaption von Screendoor – verfügbar in allen Landessprachen – steht bereit. Nun braucht es einzig einen staatlichen Pionier, der dieses digitale Tool einzusetzen bereit ist.