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484'056 Facebook-Fans. So viele Facebook-Fans hat die rechtspopulistische Partei Front National. Dreimal so viele wie die Parti Socialiste. Aber auch En Marche ist im Aufwind und erreicht demnächst die 200'000er Marke. Facebook war ein zentraler Schauplatz bei der #presidentielle2017. Das grösste Soziale Netzwerk wurde dabei geliebt, aber vor allem das liberale Lager fürchtete sich auch vor destabilisierenden “Fake News” und Hacker-Angriffen. Facebook löschte allein 40'000 Bots, die in Gruppen und auf Seiten Hasstiraden gegen Macron verbreitet hatten.

Jenseits dieser Schlagzeilen haben Netzaktivisten und Unternehmer mit neuen Beteiligungsformen experimentiert, die kaum öffentliche und mediale Beachtung gefunden haben. Diese arbeiten mit Software, die nicht für Parteianhänger, sondern für unabhängige Bürger bestimmt ist, die ihre lokale Umgebung mitgestalten wollen.

Dezentrale Partizipation à la Française

Er ist einer der bestvernetzten französischen CivicTech-Unternehmer, im Vorstand des französischen Ablegers von DemocracyOS und des Unternehmens OpenSourcePol und aktiv im Think-Tank “Point d'Aencrage” der Sozialisten, der sich mit Technologien auseinandersetzt.

Der CivicTech-Unternehmer und Open-Data-Aktivist Valentin Chaput.

Wahlkämpfe interessieren ihn und seine Mitstreiter nicht. “Es geht bei CivicTech um den Dialog in einer Amtsperiode. Dann wenn regiert wird, muss die Bevölkerung für Konsultationen herbeigezogen werden. Und eben genau nicht zu Wahlkampfzeiten” , sagt Chaput. Auch Chloe Pahud, Mitgründerin des Startups Civocracy kann mit Parteipolitik nicht viel anfangen. Sie möchte ihre Plattform aber auch nicht als Heilmittel gegen den aufkommenden Rechtspopulismus verstanden wissen. Fehlende Mitbestimmung in repräsentativen Demokratien ist ein parteiunabhängiges Problem. “Klar ist die Demokratie in vielen westlichen Ländern kaputt, aber wir wollen keine Plattform für Parteipolitiker, sondern für die Bürger sein”, sagt Pahud. Es geht um die kollaborative Zusammenarbeit zu einem spezifischen Thema, zwischen Regierung, Verwaltung und Bürgern. Civocracy bietet Community- und Konsultationsplattformen für Kommunen in Frankreich, Deutschland und Holland an. Zur Klientel gehören lokale Regierungen und Städte wie Lyon oder Nizza. Die Nachfrage wächst. “Civic Tech ist zurzeit sehr ,sexy' in Frankreich”, behauptet Pahud.

Weshalb erlebt die “Grande Nation” gerade jetzt eine Blütephase der digitalen Bürgerpartizipation? Ein Grund ist die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Politik. Die Frustration über die vergangene Administration Hollande sei sehr hoch, sagt Chaput. Doch das System, genauer der Zentralismus, spiele eine weitaus grössere Rolle. Er ortet wie Chloe Pahud die Ursache für Politikverdrossenheit in den fehlenden Mitbestimmungsmöglichkeiten auf der Kommunalebene. Stadtregierungen und Startups haben daher begonnen, auf eigene Faust Bürgerkonsultationen durchzuführen. Grenoble ist ein Vorzeigebeispiel, sagt Pahud. Die Stadt hat mit zahlreichen Startups ein richtiges CivicTech-Ökosystem entwickelt und sich als lokaler Vertreter im Kampf gegen das transatlantische Abkommen TTIPengagiert.

Ein weiteres berühmtes Beispiel für erfolgreiche digitale Bürgerprojekte in Frankreich ist das partizipative Budget der sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo in Paris. Die Bürger der französischen Hauptstadt können jährlich frei über 500 Millionen Euro, was 5% des Budgets entspricht verfügen – von 2014 bis zum Jahr 2020, aufgeteilt auf die verschiedenen Bezirke und Vororte von Paris.

Macron, der CivicTech-Präsident?

Die Zeichen für CivicTech unter dem neuen französischen Präsidenten stehen gut. Eine neue Ära könnte anbrechen. Macron wird bereits als digitaler Reformer gehandelt, er selbst versteht sein Vorhaben und seine Bewegung als “ CivicTech”-Startup für die Nation. Die Förderung des digitalen Bürgerengagements im Dialog mit dem Staat ist eines seiner wichtigsten Schwerpunkte der Legislaturperiode. Doch den konkreten Beweis muss er erst noch erbringen, meint Chaput. Macron hat dank digitaler Werkzeuge in der Tat einen sehr effizienten Wahlkampf betrieben. Mit der Software Fifty plus one des CampaignTech-Unternehmens Liegey Muller Pons hat er die Tür-zu-Tür-Wahlkämpfeseiner Bewegung En Marche aufgebaut und koordiniert. Dabei konnten im letzten Jahr 280'000 Mitglieder gewonnen werden. Viele der KandidatInnen der Bewegung sind selbst über ein digitales oder analoges Gespräch mit Wahlhelfern “rekrutiert” worden.

Doch Effizienz ist nicht dasselbe wie Partizipation oder Deliberation. Es geht nicht um den grössten Output wie bei den Wahlen, sondern darum, welche Beteiligungsverfahren demokratischer, inkludierender und legitimer sind. Interessant zu beobachten wird, ob die Mitte Juni neu gewählten ParlamentarierInnen – insbesondere von der Bewegung En Marche – offener für Bürgerkonsultationen sein und den Bürgerdialog im Netz effektiv fortsetzen werden.